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08/01

Allergie, eine Zivilisationskrankheit?

 

 

 

08/01
29. März 2001

 

Die Hintergründe und Fragestellungen dieser spannenden Thematik beleuchtet ein nun vorliegender Berichtband, der unter Federführung von Priv.-Doz. Dr. Erika von Mutius und Prof. Dr. Klaus Betke entstanden ist und von der Bayerischen Akademie der Wissenschaften herausgegeben wird. 

Schon seit Jahren ist in den westlichen Ländern ein beunruhigender Anstieg allergischer Erkrankungen zu beobachten. In Deutschland sollen nahezu ein Drittel aller Schulkinder betroffen sein. Darüber gibt es viele Hypothesen oder Erklärungsversuche, wobei gerade in der letzten Zeit Gesichtspunkte des Lebensstils verstärkt von Fachleuten diskutiert werden. In diese Richtung weisen z.B. Vergleiche von Kindern in Leipzig und München, die unmittelbar nach Öffnung der Mauer begonnen wurden, oder Vergleiche von Kindern aus ländlicher Umgebung, die, im selben Dorf lebend, auf einem Bauernhof bzw. ohne Berührung mit der Landwirtschaft aufwachsen. Es scheint sich abzuzeichnen, dass der frühkindlichen Stimulierung des Immunsystems eine wichtige Rolle im späteren Allergiegeschehen zukommt.

Von führenden Wissenschaftlern vorgestellt und diskutiert werden in dem neuen Buch der Bayerischen Akademie der Wissenschaften die Rolle der von außen auf uns einwirkenden möglichen Allergieauslöser, wie etwa Nahrungsmittel, Pollen, Milben oder Luftschadstoffe, die Bedeutung von Lebensstilfaktoren, wie etwa Familiengröße, Häufigkeit frühkindlicher Infektionen und der Kontakt zu Stalltieren, als auch der mögliche Einfluss psychologischer Faktoren auf das Allergiegeschehen. Der besondere Reiz dieses Buches liegt daher im vielfältigen Gespräch von Vertretern z.B. der Immunologie, der Epidemiologie, klinischer Disziplinen, der Arbeitsmedizin und der Psychologie.

Der Band "Allergie, eine Zivilisationskrankheit?" kann direkt beim Verlag Dr. Friedrich Pfeil, Wolfratshauser Str. 27, D-81379 München, zum Preis von Euro 15,00 bestellt werden.

Allergie, eine Zivilisationskrankheit?

In ihrer Reihe von Rundgesprächen veranstaltete die Kommission für Ökologie der Bayerischen Akademie der Wissenschaften unter Federführung von Prof. Dr. Klaus Betke und Priv.-Doz. Dr. Erika von Mutius eine Expertentagung zum Thema "Allergie, eine Zivilisationskrankheit?". Der dazu vorliegende Band, der alle Vorträge und Diskussionen umfasst, ist nun erschienen.

Hintergrund der Tagung war einerseits die zunehmende Zahl von Allergien in westlichen Ländern, andererseits neuere Erkenntnisse aus epidemiologischen Studien, nach denen bestimmten Lebensstilfaktoren eine Bedeutung im Allergiegeschehen zukommen könnte. So segensreich sich die Auswirkungen der westlichen Zivilisation auf die Gesundheit und die Lebenserwartung der Bevölkerung ausgewirkt haben, so unklar ist ihre Rolle im Allergiegeschehen: Gerade die enormen Verbesserungen in der allgemeinen Hygiene – nicht nur im Haushalt, im Nahrungsmittel- und Wasserbereich, sondern auch im Zuge von Impfungen und der Krankheitsbekämpfung durch Antibiotika – könnten über das Immunsystem auch das Allergiegeschehen beeinflussen. Oder, provokant gefragt: "Sind Allergien der Preis, den wir für die Segnungen unserer Zivilisation zahlen müssen?"

Um dieser Frage nachzugehen, stellen führende Wissenschaftler in dem neuen Buch den derzeitigen Wissensstand aus Sicht der verschiedenen Fachbereiche vor:

  • Von immunologischer Seite her werden die an Allergien beteiligten Mechanismen im Immunsystem des Menschen beschrieben und kritisch diskutiert. Hinsichtlich der wesentlichen Rolle einer genetischen Disposition konnten in den letzten Jahren einige dafür wichtige Genorte identifiziert werden; sie können freilich nicht die Zunahme der allergischen Erkrankungen in der Bevölkerung erklären. Auch die im Einzelfall große Bedeutung psychologischer Faktoren wurde diskutiert.
  • Aus klinischer Sicht werden Risikofaktoren für Allergien vorgestellt (wie z.B. Tabakrauchexposition nicht nur in den ersten Lebensmonaten, sondern auch schon während der Schwangerschaft) und die Bedeutung der Allergen-Exposition diskutiert (z.B. anhand von Pollen, Bienenstichen oder Hausstaubmilben). Ein wichtiges Thema sind Allergien am Arbeitsplatz: Allein 1998 führten in Deutschland schwere oder wiederholt rückfällige Hautkrankheiten bei 23.000 Patienten zur Berufskrankheitenanzeige und bei 1800 Patienten zu deren Anerkennung.
  • Die epidemiologische Forschung versucht sich über verschiedene Faktoren wie z.B. dem Sozialstatus, der Familiengröße ("Geschwistereffekt"), dem Kontakt zu Stalltieren ("Bauernhofeffekt"), aber auch der Luftschadstoffbelastung am Wohnort der Frage nach den Ursachen von Allergien zu nähern, um möglicherweise relevante Einzelfaktoren zu finden. Nur zwei Punkte seien hier erwähnt: Je mehr ältere Geschwister bei Geburt vorhanden sind, desto mehr Infektionskrankheiten finden im frühen Lebensalter statt; gleichzeitig sinkt damit das Risiko, an Heuschnupfen, allergischer Sensibilisierung oder atopischem Ekzem zu erkranken. Dies stützt die Hypothese, dass frühkindliche Infektionserkrankungen einen gewissen Schutz vor Allergien darstellen könnten. Darüber hinaus zeigte sich in anderen Untersuchungen, dass das Risiko von Heuschnupfen, Asthma oder atopischer Sensibilisierung bei Kindern, die auf einem Bauernhof aufwachsen, wesentlich geringer ist als bei den anderen Dorfkindern. Welche der vielen Unterschiede, die zwischen Bauernhof- und anderen Dorfkindern bestehen, diesen "Schutz" bewirken, ist noch unklar. Erste Befunde deuten aber darauf hin, dass der Aufenthalt im Stall und damit die mikrobielle Belastung ein Erklärungsfaktor sein könnte.

 Rundgespräche der Kommission für Ökologie, Band 21 (2001), 120 S., Hrsg.: Bayerische Akademie der Wissenschaften, Prof. Dr. Dr. h.c. Klaus Betke, Priv.-Doz. Dr. Erika von Mutius. Verlag Dr. Friedrich Pfeil, Wolfratshauser Str. 27, D-81379 München; Euro 15,00), ISBN 3-931516-86-5.